Spin and Doctors 25. August 1996
   
 

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Spin and Doctors

Über die Gemeinsamkeiten von Twister und Emergency Room

von Robert Blanchet

  1 Michael Crichton ist nicht nur Co-Autor und -Produzent einer der drei grossen Blockbuster dieses Sommers, die Rede ist natürlich von "Twister", sondern auch Erfinder und Executive Producer der überaus erfolgreichen TV-Serie "Emergency Room", kurz ER. ER steht in der Tradition der altetablierten Krankenhaus Soap-Opera , die das private Drama eines Ärzte-Personals und das ihrer Patienten gleichermassen emotionalisiert inszeniert.
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  2 Dass sich Fernsehdramaturgie in einem marktwirschaftlich organisierten Rundfunksystem an der Notwendigkeit zu orientieren hat, das Programm in regelmässigen Abständen für Werbeblöcke unterbrechen zu müssen, ist mittlerweile bekannt.
  3 Eine der auffälligsten Neuerungen des Krankenhaus-Genres bei ER stellen die ständigen Notbehandlungsszenen dar, die unabhängig von den jeweiligen Geschichten, jede Folge und die gesamte Serie durchsteppen. Die Soap-Opera üblichen Handlungsstränge werden (der Einspielung von Werbespots nicht unähnlich) im etwa 12 Minuten-Takt von einkommenden Notfällen, eben Emergencies unterbrochen. Der ohnehin recht flotte Rhythmus der Soap-Stories wird dabei um ein Vielfaches gesteigert, bildlich gesprochen; das Rad der sich vorwärtsbewegenden Handlung beginnt auf einmal auf spektakuläre Weise durchzudrehen. Kurze Schnitte, hektische Bewegungen der Kamera und Akteure und für den Laien schwerverständliche energische, medizinische Kommandos und Diagnosen bestimmen diese Sequenzen, die ein immer gleiches Ritual durchspielen.
  4 Sich wiederholende Handlungsbausteine finden sich natürlich in fast jeder Fernsehserie, im Gegensatz zu vormittäglichen Cartoons jedoch sind Prime-Time Formate in der Regel darum bemüht, diese perpetuierten Elemente als Narrativ zu gestalten und in die kausale Handlung der jeweiligen Folge einzugliedern. Die Emergency-Sequenzen in ER scheinen nurmehr schwach mit den Prämissen des klassischen Narrativs verbunden. Die jeweiligen Opfer bleiben anonym, die Aktionen der Protagonisten sind mechanisch-automatisiert, der Ausgang dieser Minimal-Geschichten hat nichts mit der Grundhandlung einer Folge zu tun und lässt auch den Zuschauer aus eben diesen Gründen relativ kalt.
  5 Wir können solche aus dem Rahmen der Handlung fallenden, tendenziell autonomen Sequenzen in Anlehnung an Justin Wyatt als Module bezeichnen. Die soeben beschriebenen Standardsequenzen aus ER entsprechen diesem technisch, mathematischen Terminus um so mehr, als ihre Funktion allein darin zu bestehen scheint, die Impulsrate der Fernsehemission immer wieder kurzeitig anschnellen zu lassen, um das kontraproduktive Zappen zu vermeiden, oder vielleicht besser gar zu ersetzen. Das Emergency-Modul kommt einem kurzen Abstecher vom "Soap-TV" zum "Surgery-Channel" gleich.
  6 Die Tornado-Sequenzen in Twister, und das bringt uns zurueck zum grand écran, scheinen nun weitgehend mit dem bisher gesagten zu korrespondieren. Anstelle des Notrufs im Krankenhaus kündigt hier einer der Storm-Chasers das Entstehen eines neuen Tornados an, die Figuren lassen alles stehen und liegen, auch das äusserst dürftig inszenierte und klassische Narrativ um die "Remarriage" [Cavell, 1981] des getrennten Ehepaares Harding (Bill Paxton, Helen Hunt) und folgen dem Sog des sich in jeder Hinsicht um die eigene Achse drehenden Wirbelwinds.
  7 In Twister wird die film-übliche Dramaturgie einer grundsätzlich stetig fortlaufenden und bezüglich ihrer Spannung ansteigenden Handlungslinie vom Prinzip eines eher gleichförmig monotonen Auf- und Abschwellens, wie es das Fernsehen praktiziert, dominiert. Eine mögliche Definition des Unterschieds zwischen A- und B-Movie lautet zwar, [Syd Field, 1984,] dass im Gegensatz zum B-Movie, der die innerliche Motivation seiner Charaktäre eher vernachlässigt und eine beständig erhöhte Aktionshandlung in den Vordergrund rückt, der A-Movie auch ruhigerer und "besinnlicher" Szenen bedarf. Das aussergewöhnlich gleichmässige Wechselspiel zwischen Remarriage-Narrativ und der Konstanten "Tornado-Modul" in Twister reduziert nun aber offenbar die konventionierte Strategie des A-Movies auf deren funktionales Minimum. Da die gleich zu Beginn des Films verkündete Anzahl zur Verfügung stehender "Dorothies" das kommende Trial and Error-Prozedere erahnen lässt, nährt Twister sich und sein Publikum nahezu ausschliesslich vom kinetischen Spektakel der schneisenfräsenden Tornados.
  8 Kinetisches Entertainment, dass gegenwärtig im wieder mit grosser Leinwand und neu mit dynamischem Soundsystem ausgestatten Multiplex Kino den Blockbuster-Film auch ausserhalb Hong-Kongs zunehmends zu bestimmen scheint, ist nicht nach seinem realistischen Gehalt zu beurteilen, sondern eher nach der Cleverness, Eleganz und innovativen Spielfreude der physischen, wenn auch mitunter physikalisch unmöglichen Bewegungsfolge.
  top of page 9 Es mag an der rohen und kreisenden Kraft des Wirbelsturms liegen, dass Twister hier letztendlich doch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Hinzuzufügen ist, dass die digitale Bildgenerierung noch immer nicht gänzlich zu überzeugen vermag. Fliegende Kühe, Lastfahrzeuge und sich in den Weg stellende Häuser vermögen zwar zu faszinieren, die nicht nur diesbezueglich beste Szene kommt im Film jedoch leider gar nicht vor, sondern nur im sensationell konzipierten Trailer, der vor allem in der bildlich zurückhaltenden Version der ersten Werbestafel im wahrsten Sinne des Wortes heimtückisch und heftig einschlägt.
Ähnlich wie sein Konkurrent "Mission Impossible" verdankt Twister wohl einen guten Teil seines kommerziellen Grosserfolgs einer Werbekampagnie die eindrücklicher ist als das Produkt selbst.
 

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