rock'n roll swindle The Rock
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rock'n roll swindle

Eine Kritik zu The Rock (Michael Bay, 1996)

Robert Blanchet

  1 Viele Köche verderben den Brei, oder anders gesagt, das Zusammenrühren verschiedener erfolgreich bewährter Rezepte ergibt noch lange kein Spitzengericht...
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Diesem Trugschluß sind die Produzenten von The Rock jedoch offenbar genau verfallen. In The Rock ist "für jeden was dabei". Für die Freunde des klassischen Actionkinos gibt es Sean Connery, für die Anhänger des Tarantinoesquen Kultkinos Nicholas Cage, für die Vertreter des amerikanischen Blut und Boden-Patriotismus à la "Rambo" Ed Harris, als durchgedrehter aber vaterlandstreuer und schlußendlich reuiger General Francis Hummel, für die Liebhaber von Lucas und Spielberg eine kleine Loren-Fahrt, usw.

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Auf den ersten Blick scheint The Rock zur Generation der für die Neunziger Jahre typischen selbstironischen und reflexiven Action-Filme und Thriller zu gehören.
Im klassischen Hollywood-Kino handeln die Figuren im Bezug auf das jeweilige Genre normalerweise authentisch, d.h. sie reagieren den Regeln ihrer fiktionalen Genre-Welt genau entsprechend.

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Wird beispielswiese in einem Ganster- oder Action-Fim jemand von einem Lastwagen überfahren, dann ist das nicht der Rede wert, so etwas passiert eben, wenn es hart auf hart geht. Passiert dasselbe in einem Melodrama sind die Beteiligten geschockt und haben Mühe ihre Tränen zu verbergen. Geschieht der Unfall in einer Slapstick-Komödie, finden das alle recht komisch, und lachen über den Tölpel, der unter die Räder gekommen ist.

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Zu einer der charaketeristischen Stilfiguren des sogenannten Postklassischen Kinos gehört, daß diese Genregrenzen in einem einzelnen Film verwischt werden. Extreme Beispiele finden sich im derzeit äußerst angesagten Hong-Kong-Film, wo Melodrama, Slapstick und Action problemlos nebeneinader existieren, in den Produktionen von David Lynch, oder eben bei Tarantino und Co.

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Den Tribut, den The Rock an dieses neuere Kino zahlt, finden wir, wie bereits angedeutet, in der von Nicholas Cage gespielten Figur, dem eher zartbesaiteten und ängstlichen FBI- Chemiker "Stanley Goodspeed" (nomen est omen). Was innerhalb der diegetischen Welt als unfreiwilliges "An die Front geraten" motiviert ist, entspricht von außen betrachet einem gewissen Bruch mit den toughen Regeln des Action-Films. Nicholas Cage ist in The Rock nicht nur eine Figur, sondern auch ein Schauspieler, der irgendwie ins falsche Genre gerutscht ist.

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Ein weiterer Zug des neueren Kultkinos im speziellen (für das es, wie meine gezwungenen Bezeichnungen belegen, offenbar noch keinen Namen gibt; vom inflationären Terminus "Postmodern" wollen wir uns hier lieber fernhalten), stellt vielleicht das explizite Referieren aus einer stereotypen Genrewelt auf konkrete Phänomene unserer "wirklichen" sozialen Realität dar. In der Regel landet ein Film immer einen Lacher, wenn stilisierte Genrefiguren plötzlich über den Horizont ihrer fiktiven Welt zu blicken scheinen, und Aussagen über pikante und sehr spezifische Sachverhalte unserer sozialen Aktualität produzieren.

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So z.B., wenn knallharte Gangster, wie in Tarantinos Reservoir Dogs und Pulp Fiction sich über die Hermeneutik eines Madonna-Songs streiten oder über unterschiedliche Bezeichnungen für Hamburger einer bekannten Fast-Food-Kette diskutieren. Besonderen Reiz erlangen solche Referenzen dann, wenn sie sich direkt auf das Medium in dem die Ausagen gemacht werden beziehen und damit eine Art reflexiven Kurzschluß produzieren. In Get Shorty redet "Chili Palmer" (John Travolta) ständig über Filme. Er scheint diesbezüglich über ein umfangreiches Wissen zu verfügen, obwohl er selbst nichts anderes ist, als eine überstilisierte Standard-Figur eben dieses Hollywood-Genre-Universums und der sogenannten Pulp Fiction.

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In einer "übernatürlichen", Filmwelt produzierte Referenzen auf reale Aktualitäten finden sich in The Rock unter anderem in den über die Conneryfigur "Patrick Mason" laufenden Anspielungen auf "tatsächliche" Geheimnisse oder Rätsel um den CIA bzw. das FBI (Außerirdische Kontakte, Wer hat JFK erschossen usw.), und im fiktionalen Faktum, daß Connery jener omninöse einzige Mensch ist (oder waren es zwei?), der je aus Alkatraz entkommen konnte. Grundsätzlich scheint die Wahl des "real existierenden" Schauplatzes Alcatraz, auf dem die überaus fiktionalen Giftgasraketen stationiert sind eher problematisch. Absolut daneben und ein völliger Fehlgriff ist die Referenz auf den Golfkrieg die, die Motivation des Antagonisten General Hummel (Ed Harris) trägt. Hummel verkörpert natürlich den klassischen, größenwahnsinnigen Super-Verbrecher, der mit einer verheerenden Mega-Waffe die halbe Menschheit zu vernichten droht.

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Mit der "viel zu realistischen" Forderung der Harris-Figur, die Wahrheit über "die tapfer gefallenen Männer" im Golfkrieg zu veröffentlichen und deren Angehörige zu entschädigen, geht jedoch leider jeglicher ironische Zug, den wir bei Goldfinger, Dr. No. und Blofeld aus den James Bond-Filmen so mögen verloren.

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Genau an diesem Punkt setzt der bereits erwähnte Blut und Boden Patriotismus des Films ein, der an keiner Stelle ironisch gebrochen wird, und offenbar absolut ernst gemeint ist. Das Ganze gipfelt in der unerträglichen Szene bei der sich die "brüderlichen Soldaten" unter den Klängen bombastisch-rührseeliger Musik und den Rufen von General Hummel "doch aufzuhören" gegenseitig erschießen.
Wir haben es hier mit dem aus zahlreichen amerikanischen Filmen und vor allem in den Achziger-Jahren enorm erfolgreichen Motiv des von seiner Regierung im Stich gelaßenen Soldaten zu tun, das nach dem immer gleichen Strickmuster funktioniert...

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Auf den ersten Blick scheint es sich bei den "Rambos", und "Colonel Braddocks" ja um recht subversive Figuren zu handeln. Nach einigen erschütternden Erlebnissen streifen sie das Mandat des Soldaten, den die Obrigkeit in den Krieg geschickt hat, um für das Vaterland zu kämpfen, ab, und richtet sich gegen diese Staatsgewalt. Es scheint als handle es sich bei diesen Helden um eigentlich friedliebende Subjekte, denen auf einmal der Wahnsinn des Krieges bewußt wird, und die erkennen, daß sie lediglich die Drecksarbeit der korrupten Staatsautorität erledigen, während diese das Ganze aus sicherer Distanz beobachtet. Der wesentliche Punkt der dabei übersehen wird ist der, daß das "wahre Subjekt", das nach Ablegung des offiziellen Mandats dann "endlich" an die Oberfläche kommen kann, alles andere als ein subversiver Pazifist ist, sondern in der Tat der authentische, faschistoide Patriot, den sich so manche Regierung oder Partei gerne wünscht. Der von Ed Harris gespielte General Hummel ist exakt eine solche Figur.

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Die These, daß sich unter dem lockeren 90er Jahre Film The Rock vielleicht doch ein ziemlich reaktionäres Machwerk verbirgt, kann auch über einen anderen Zugang unterstützt werden, der den Zuschauer weiter einbezieht. Gehen wir davon aus, daß Identifikation gefördert werden kann, indem uns ein Opponent angeboten wird, von dem wir uns gemeinsam distanzieren können. Gehen wir weiter davon aus, daß ein solcher Gegenpol nicht unbedingt ein "Feind" sein muß, sondern auch ein "Idiot" sein kann, über den wir uns lustig machen.

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In den ersten Minuten von The Rock finden sich mindestens vier solcher "Idioten". Da sind zunächst zwei der Besucher von Alcatraz, die kurz gezeigt werden, wie sie "dumm aus der Wäsche gucken" als General Hummel die Gefängsnistüren hinter ihnen schließen läßt. "Zufällig" handelt es sich bei diesen beiden um einen farbigen jungen Mann und eine ebenfalls farbige Frau. Später macht sich ein offesichtlich homosexueller Friseur absolut lächerlich. Dazwischen dürfen wir über einen Deutschen lachen, dem sein "Jeep Hummer" gestohlen wird, um bei einer rasanten Verfolgungsjagt zu Schrott gefahren zu werden. All diesen "Dummköpfen" ist gemein, daß sie ähnlich wie Stanley Goodspeed ins falsche Genre geraten sind, nämlich in die Welt der harten Action-Helden, die sich nicht um ihre Frisur kümmern und reihenweise Autos zerstören ohne mit der Wimper zu zucken.

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Wir können über diese Figuren um so mehr lachen, weil wir natürlich längst begriffen haben in welchem Genre wir uns befinden und uns spätestens dann der Position des Actionhelden anschließen, wenn sich zeigt, daß er diesen "Schwächlingen" klar überlegen ist.

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Wir können natürlich immer sagen, daß es sich bei den zwei Gefängnisinsaßen um Schwarze handelt, ist reiner Zufall, der Gag mit dem Jeep Hummer ist eigentlich bloß ein Seitenhieb gegen Arnold Schwarzenegger, der ja angeblich die einzige Zivil-Person ist, die dieses Militärfahrzeug besitzt. Der homosexuelle Friseur ist nicht wegen seiner sexuellen Präferenz komisch, sondern nur wegen seines affektierten Gehabes und deswegen hat er es auch verdient, daß wir uns über ihn lustig machen, genau wie der "depperte Piefke".

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Vielleicht ist es aber auch ein wesentlicher Charaketerzug des Hollywoodkinos, seine ideologischen Konnotation hinter solch offensichtlichen Belanglosigkeiten zu verbergen.

 

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